Blog

Der Föhn

Haben Sie einen schlechten Tag? Finden Sie heraus warum es nicht Ihre Schuld ist.


 
Bevor der Wecker klingelte, erwachte ich - das war eher eine Seltenheit. Als ich meinen  Kopf vom Kissen aufheben wollte, war  es als ob er im Treibsand feststeckte.  Mein Nacken fühlte sich an, wie wenn er mit Beton gefüllt wäre. Oh nein, KOPFWEH!

Ich machte mich aber gleich auf den Weg ins Dorf. Der Weg war ca. drei Kilometer lang, mit drei scharfen „S“ Kurven und 650 Meter Höhenunterschied.  Ein  Auto hat mich in der Kurve überholt, ausgebremst und sogar plötzlich vor meiner Nase angehalten. Das BMW hinter mir blitzte sein Schweinwerfer ein und aus. Ich hatte das Gefühl, dass ich in einem Flipperkasten/Spiel gefangen war.

Endlich, im Dorf angekommen, ging ich in die Post, wo  eine Menge miesgelaunter Leute vor dem Schalter gewartet haben.  Eine Frau hat sogar eine regelrechte Szene gemacht.  Ich schaute eine andere Kundin an und fasste im Kopf kurz zusammen:  Kopfweh, schlecht gelaunte, gereizte Leute, Wahnsinnige auf der Strasse und  wir sind gleichzeitig auf dem Punkt gekommen und sagten laut: „Der Föhn!“

Der Föhn. Wir Amerikaner, die mit den Umlauten nicht so vertraut sind, sprechen das „Fuehrn“  aus.  Der Föhn ist nicht nur ein Wind, sondern  Böen die bis oder sogar über 100 Kilometer in der Stunde erreichen können.  Er  ist auch eine Ausrede für fast alles,  ein Krankmacher und  er befördert sogar Normalsterbliche  in „Wetterfachmenschen“.

Sogar ich bin ein Wetterfrosch geworden.  Ich probiere im Vicki Stil den Föhn zu erklären:  Dieser Wahnsinn fängt an der „Südseite“ der Alpen (ich sage einfach Tessin) an,  mit ein paar Wolken und einem  bisschen Regen.  Wenn die Wolken aufsteigen, geht  ihnen die Puste aus, irgendwo über dem Gotthard schätze ich.  Die Luft trocknet  und fällt auf der Nordseite der  Alpen ab und so entsteht ein Wind der unserem Kopf  und unsere Haar verweht.

Ich fasse für alle Nicht-Wetterfrösche kurz zusammen:  Es gibt normalen Wind bei  jedem Wetter, wenn es aber ein warmer Wind ist und bläst wie verrückt, dann ist es Föhn. Nicht zu verwechseln mit dem kalten Wind „der Biese“.  Auch nicht zu verwechseln mit der beweglichen Luft innerhalb eines Raumes, wenn z. B ein Fenster und eine Türe offen ist, dann „zieht es“.  Dieses Phänomen ob ein Fenster oder eine Türe offen ist oder nicht,   ist für Ausländer aus dem Süden nicht verständlich.  Bei uns senkt der Durchzug die Temperaturen -  hier, macht es krank.  Aber das ist bestimmt eine andere Geschichte.

Ständig haben Schweizer gesagt: „Heute haben wir Föhn.“ Ich habe gar keinen Wind bemerkt. Wie haben Sie den Föhn erkannt, bevor der Wind  angefangen hat zu blasen? Vielleicht an den scheinbar federleicht übereinliegenden Wolken.

Der Föhn ist für mich wie Naturkino.  Als Kind war „Funkle Funkle Kleiner Stern“ mein  Lieblingslied. Wenn der Föhn aufhört zu blasen ist er aber immer noch unter uns,  macht sich bemerkbar mit den funkelnden Lichtern im Tal und am Himmel – wie funkelnde Sterne -   das liebe ich.
Manchmal erscheinen die Berge an einem Föhntag so nah, dass man das Gefühl bekommt, man könne sie umarmen.  Es gibt Tage, an denen sie den Anschein erwecken immer näher und näher auf einen zu kommen.

Noch etwas sehr Tolles:  Wenn es in anderen Teilen der Schweiz regnet,  geniessen wir die Sonne, den Wind und die Wärme.  Aber passen Sie auf, wenn Sie im Wald spazieren gehen, Sie könnten von einem Ast erschlagen werden.  Bis jetzt ist mir das erspart geblieben,  ich werde nur von Golfbällen attackiert.

Aber die beste Wirkung des Föhns ist die „Get out of Something Free Karte“. Ausreden werden gebraucht.  Ausreden werden geglaubt.  Ausreden werden sogar akzeptiert.

Ab und zu brauche sogar ich den Föhn als Ausrede. Ja, ich gebe es zu.  An Herbsttagen  liegen farbige Blätter überall auf dem Sitzplatz. Meine Nachbarn sind fleissig am Laubzusammenwischen,  ich hingegen bin ganz entspannt. „Hoi Du, tust auch im Garten schaffa?“  fragt meine fleissige Nachbarin.  „Wieso?“, frage ich „nächste Woche kommt der Föhn“ -  Mutternatur`s Besen.

So,  wenn der Föhn bläst und Sie einen Fehler machen, „kiebig“ sind, etwas nicht machen,  was Sie sowieso nicht machen wollten,  es ist wirklich nicht so schlimm.  Wie jeder Schweizer weiss: „Der Föhn ist schuld – nicht Sie“.
 
 © Copyright Vicki Gabathuler, 2015
 

Kommentare


love this!! so true. :-)

beth wimmer
23.11.2015 - 12:56:30


Beitrag kommentieren