Interview mit Jakob Gähwiler
Integration aus der Sicht von Fachpersonen
Intro Köbi
Darf ich vorstellen: Jakob Gähwiler, Leiter der regionalen Fachstelle für Integration in Buchs. Der starke Mann bei Mintegra – und der Einzige.
„Sagen wir so“, sagt Köbi, „ ich habe drei Chefinnen: Blagica Alilovi bei der Stiftung Mintegra, Ursi Dommer als Stiftungsrats-Präsidentin und Claudia Nef, Leiterin des Kompetenzzentrums für Integration und Gleichstellung in St. Gallen. Immerhin habe ich zwei männliche Kollegen bei den anderen regionalen Fachstellen.“
Nebst seines Masters an der Universität in Zürich in Volkskunde hat Köbi in Hamburg praktische Auslandserfahrung sammeln können um uns Ausländer wirklich zu verstehen.
Vicki
Was ist für dich, in deinem Job als Integration Beauftragter, ein VIP – Very Integrated Person?
Was müssen Neuzugezogene machen um ein VIP zu werden?
Köbi
Sobald eine Person sich informiert und ein persönliches Netzwerk hat, nach aussen geht und Kontakt mit anderen in der Umgebung sucht, die gleiche Sprache spricht, einen ähnlichen kulturellen Hintergrund hat (lebt?), dann ist die Person integriert.
Wichtig ist, dass die Person das Alltagsleben gut gestalten kann und sich zurechtfindet.
Ich sehe Integration als eine zweispurige Strasse – nicht eine Einbahnstrasse. Viele Neuzugezogene gehen den Weg der von uns erwartet wird:
- die Sprache lernen– aber leider die Falsche, lustig aber wahr. Es bleibt eine der grössten Herausforderungen der VIP’s - Schriftdeutsch lernen, obwohl Schwyzerdütsch gesprochen wird.
- viele machen mit in Vereinen, Treffen oder Kirchen
- arbeiten, andere haben sogar das eigene Geschäft aufgebaut
Ich habe mit einem Griechen gesprochen der über 45 Jahr hier wohnt und ein erfolgreiches Geschäft besitzt. Er hat jahrelang regelmässigen Kontakt mit dem Nachbarn - über den Gartenzaun. Obwohl er mehrmals versucht hat ihn zu einem Kaffee einzuladen, hat der Nachbar nie zugesagt. Was sagst du sie diesen Leuten?
Das wird von den Neuzugezogen erwartet
Integration muss von beiden Seiten passieren.
- Die ersten Schritte müssen die neuzugezogen Personen machen, indem sie sich informieren
- Danach die Sprache zu lernen.
Wenn der Wille dazu nicht vorhanden ist, nützt alles nichts. - Sobald die Bemühungen in der Richtung da sind, ist es unbedingt notwendig, dass von der einheimischen Bevölkerung der nächste Schritt kommt.
Ich würde sagen, dass es wahrscheinlich am Nachbarn liegt, der grundsätzlich zu niemandem nach Hause geht, das ist eine Schweizer Vorstellung dass man mit dem Nachbarn nur so weit, geht aber nicht weiter. Genauso mit Berufskollegen – es gibt eine gewisse Distanz. Darum würde ich dem Ganzen nicht so eine grosse Bedeutung beimessen. –In meiner Generation wird das jetzt vielleicht etwas anders.
Tipp- zu Hindernissen
Ich würde den Neuzugezogen fragen, ob es einen Anlass gibt zu reflektieren
- habe ich alles probiert usw. -
- aber wenn mein Gegenüber kein Interesse zeigt, weiter gehen.
- Immer wieder mit Jemand anders probieren.
Wie kann die Schweizer Gesellschaft von den VIP’s profitieren?
Alles, was die Schweizer Verschlossenheit ein bisschen auflockert, kann nur positiv sein.
Aber auch deren Geschichte und wie Sachen in anderen Ländern funktionieren, bringt uns dazu, das Eigene zu schätzen, oder zu hinterfragen. Austausch über Kultur bereichert die eigene Kultur.
Das ist genau ein Grund, dass ich den Blog und das Buch schreiben will. Wie kann man was wissen was man noch nicht kennt!
Es braucht solche Orte, wo man sich darüber austauschen kann, was einem hier fremd ist. Vielleicht merken die Leute dann - ich bin nicht die oder der Einzige, die darüber gestolpert sind, es ist auch für Andere nicht ganz einfach.
Wir können motivieren und unterstützen, aber alle Hindernisse kann niemand wegschaffen, das kann nur der Neuzugezoge selbst.
Vieles passiert auf persönlicher Ebene, dass sie sich allein und bloss gestellt fühlen – Ich weiss nicht wie wir ihnen das ersparen können – nur mit Angeboten schnell abschaffen. Es kommt irgendwann der Zeitpunkt in der neuen Heimat wo man weniger überfordert ist und sich zuhause fühlt.
Es braucht niederschwellige Angebote wie Frauentreff, die ohne Vorkenntnisse, ohne Anmeldung, oder Ausbildung genutzt werden können. Möglichkeiten die Sprache zu üben, andere Leute kennen lernen – und auch lernen wie es in der Schweiz funktioniert.
Für jemanden der stärker wird, und differenziert mitarbeiten will, gibt es Arbeitsgruppen und Organisationskomitees, wo man intellektuell gefordert ist. Mitmachen, mitstudieren, mitbestimmen.
Mein Lebensmotto! Es braucht einfach eine gewisse Zeit. Vielleicht hilft es wenn die Gesellschaft die Erwartungen ein klein bisschen zurückschraubt.
Integrationdschungel einfach gemacht -Was mache Ich wenn ich Hilfe brauche?
Die Integrationstruktur ist für die Ungeschulten ein bürokratischer Dschungel. Es gibt die Stiftung Mintegra, die Sozialdienste für Fremdsprachige und das St. Galler Amt für Integration und Gleichstellung, Repas und Vieles mehr. Hilf uns das zu verstehen.
In unserer Region Werdenberg/Sarganserland hat die Stiftung-Mintegra den Leistungsauftrag vom Kantonalen Kompenzzentrum für Integration und Gleichstellung für die Fachstelle Integration und von der VSGP, Vereinigung der Gemeindepräsidenten, die Trägerschaft für Repas (Regionale Potenzialabklärungs- und Arbeitsintegrationsstelle), bekommen.
Wenn jemand vom Ausland hier her zieht und Hilfe braucht, wohin gehen sie zuerst?
Zuerst gehen sie zu Blagica Alilovic, Geschäftsführerin Stiftung MINTEGRA, Sozialdienst für Fremdsprachige. Sie ist für die Erstinformation zuständig wie auch für die Beratungen.
Die gängige Praxis ist, was schnell erledigt werden kann findet bei der Gemeinde statt, was tiefer und zeitintensiver ist, geht zu Mintegra – Sozialdienst. Dann erfolgt Hilfe im Bereich individuale Unterstützung, Problemlösung, oder Beratungen übernehmen beispielsweise die Sozialen Dienste Werdenberg.
Gesamtgesellschaftliche Anliegen, Austausch in grossen Gruppen und Vernetzung, sowie Projekte und Angebote sind der Fachstelle Integration untergeordnet.
Das bietet der Staat Neuzugezogenen
Verstehe ich das richtig? Der Sozialdienst ist verantwortlich für individuelle Fragen, Anliegen, Probleme und Beratungen und die Fachstelle Integration für die Anliegen.in grossen Gruppen?
Ja, die Fachstelle Integration ist zuständig für allgemeine oder gesamtgesellschaftliche Lösungen durch Angebote wie: Frühförderung, grenzenlose Kulturfeste, Gesundheitsversorgung und Migration, Tagungen, Frauentreff für Fremdsprachige uvm.
Was ist Frühförderung?
Frühförderung ist eine Spiel- und Sprachförderung für Drei bis Vier-jährige. Das findet im Jahr vor dem Kindergarteneintritt statt, für Kinder mit Migrationshintergrund. So werden sie einerseits langsam an Schule eingeführt und andrerseits lernen sie die Sprache. Ein Elternteil ist immer dabei um zu erfahren, wie das Schulwesen funktioniert.
Es liegt bei mir, solche Präventivarbeiten/ Projekte in den anderen Gemeinden (Frühförderung haben fast alle Gemeinden in der Region übernommen) und beim Kanton unser Know How zur Verfügung zu stellen. Wir profitieren auch von Fachleuten aus anderen Gemeinden, die uns erfolgreiche Projekte bringen, die wir kopieren können.
Mintegra als Informations-und Koordinationsstelle
Wir sind dankbar, wenn Bürger/innen auf Eigeninitiative Projekte lancieren und auch für die Hilfe anderer Intuitionen. Wenn Mintegra mit ihrem Namen dahinter steht, muss auch die Qualität stimmen. Wie das Angebot „Deutschkurse Liste“. Wir arbeiten als Meldungs-/ Koordinationsstelle. Wir bieten ein Netzwerk an.
Ist Mintegra für Flüchtlingsprojekte zuständig?
Hilfsprojekte oder Flüchtlingshilfeprojekte sehe ich nicht als primären Arbeitsbereich von Mintegra, wir sind die Informations-Melde-und Koordinationsstelle für die gelebte Integrationsarbeit.
Wie z. B. das Projekt „Welcome Dinner“: Einheimische essen zuhause mit Flüchtlingen, wird einfach durch eine Privatperson lanciert. Wir bieten die Übersicht, und unser Netzwerk an und koordinieren mit der verschieden Kommissionen und Vorständen.
Wir führen aber auch immer wieder eigene Projekte durch, wenn wir grossen Bedarf sehen.
Haben Zugezogene die Unterstützung die sie brauchen?
Wer willig ist sich in Werdenberg zu integrieren, kann es, weil es viele Angebote und viele Möglichkeiten gibt.
Das Problem ist, dass wir mit persönlichen Rückschlägen zu tun haben. Wegen Mobbing oder Rückweisungen verstehe ich die Personen die sich zum Selbstschutz zurückziehen. Das Angebot steht:– wenn jemand ein Problem hat, ist Mintegra da – das ist nicht selbstverständlich. Darum ist es umso wichtiger, dass dieses Angebot genutzt wird.
Wie können wir Einheimischen und VIP‘s den Neuzugezogenen das Gefühl geben, dass sie ein Teil der Gesellschaft sind?
Das ist das was wir täglich probieren: daran arbeiten den Neuzugezogenen das Gefühl zu geben, dass sie ein Teil der Gesellschaft sind, dass die Leute die Gemeinschaft bilden, dass Neuzugezogene ein Teil der Gesellschaft werden können –und dazu gehören.
Und praktisch umgesetzt?
Wenn Leute zu uns kommen, die sich engagieren möchten, fragen wir nach ihren Interessen und probieren den ersten Kontakt zu organisieren mit freiwilliger Arbeit oder zu den Vereinen, wo es immer Bedarf und Möglichkeiten gibt mitzumachen, mitzugestalten und mitzubestimmen.
Wie möchtest du bei der Integration wahrgenommen werden?
Integration und Vielfalt als Stärke. Jeder Schritt in diese Richtung ist ein Erfolg. Die Post-Migrationsgesellschaft wird sehr viel stärker. Wir brauchen positive Beispiele und dürfen diese auch darstellen und bekanntmachen. Auch unsere Angebote, unsere Fachberatungsstellen sollen bekannter werden– bei Einheimischen, VIPs und Neuzuziehenden.